15.9.12

... Fortsetzung

Stetig rollen wir immer weiter das Tal hinunter. Yellowstone im Rücken und das Unbekannte vor uns. Es wird immer heißer und trockener. Yellowstone selbst ist nicht wirklich von beeindruckendem Relief durchzogen, liegt aber deutlich höher als die östlichen Gegenden von Wyoming. Deshalb wird die Vegetation immer wüstenähnlicher und mehr und mehr Felsen zeigen sich. Als wir Cody erreichen, der erste größere Ort östlich des Parks, fühlen wir uns in den Wilden Westen zurück versetzt. Spärlich liegen Ranches vor imposanten Landschaften. Abseits des Highways macht sich die unendliche Weite der weitgehend unbesiedelten USA breit. Ein Kontrast folgt dem nächsten.

"Geologische Stätte Teufels Küche", sagt ein Schild fast im mitten von Nirgendwo. "Lass uns das mal ansehen", sage ich zu Becky, trete die Bremse durch und reiße das Lenkrad rum. Wir fahren ein paar Meilen auf einer Kiesstraße, die ins Nichts zu führen scheint. Dann endet sie plötzlich direkt vor einer Art Klippe. Und vor uns liegt die Teufels Küche. Völlig unvorbereitet von diesem bizarren Anblick klappen uns die Kiefer runter. Um ehrlich zu sein haben wir nichts großartiges erwartet. Der Ort ist nicht mal ein State Park, die unterste Klasse von Naturschutzgebieten. Nur ein schnödes Schild, das darauf hinweist, das überhaupt etwas da ist, was anders ist als die gewöhnliche Umgebung. Und doch ist dieses kleine Becken in der Landschaft das Coolste, was wir bisher auf dem Trip gesehen haben. Aus irgendeinem Grund ist die Erde in diesem Areal weg erodiert. Was blieb sind Schlöser und Canyons aus den unterschiedlichsten Formen und Farben. Jede Schicht ist an den steilen Hängen der Hügel sichtbar und zwar in rot, gelb, lila, weiß und allem dazwischen. Die Hügel sehen aus, als ob ein Riese mit gefärbtem Sand Kleckerburgen gebaut hat. Teufels Küche - der Name triffts perfekt.

Unser Weg führt uns weiter durch endlose Schluchten, Ebenen, Berge, immer weiter und weiter. Letztendlich überquere wir den letzten Pass der Rockys und gleiten hinunter in die Prärie. Ein kleines Stück bewegen wir uns südlich auf dem Highway, den ich vor fast zweieinhalb Jahren Mit Bubbi und Calvin nach Norden gefahren bin. Erinnerungen quellen hoch. "Mein Gott", denke ich. "Wie unvorhersehbar doch alles ist. Vor einer klitzekleinen Weile habe ich in Kanada gelebt, für Calvin gearbeitet, bin in den hohen Norden getrampt, habe in Floß gebaut, den Yukon befahren und millionen anderer Dinge gesehen und erlebt. Und jetzt bin ich wieder hier, und fühle mich als komplett anderer Mensch, in einer völlig anderen Situation, mit einem total neuen Leben. Das Leben - eine wirklich aberwitzige, wilde Achterbahnfahrt." Ich schaue nach rechts und sehe Becky. Wer nur hätte all das gedacht. Wehmut und Unsicherheit kocht hoch. Ich fühle plötzlich viel mehr Verantwortung und Gesetztheit. Will ich das wirklich? Will ich mich binden? Will ich Freiheiten aufgeben? Ja und nein. Für einen Moment wünsche ich mich zwei Jahre zurück. Ich fuhr, trampte, ging, flößte wohin immer ich wollte. Alle Wege standen offen. Ich fühlte mich frei. Doch ich fühlte mich auch einsam. Habe ich mir nicht immer einen Partner gewünscht? Hatte ich es nicht oft genug satt immer in Bewegung zu sein, kein zu Hause zu haben, immer lieb gewordene Menschen wieder verlassen zu müssen? Ich bin wirklich verwirrt. Immer noch bewege ich mich, strebe vorwärts. Doch das Ende dieser Straße scheint etwas absolut Neues, Reizendes und auch Beängstigendes bereit zu halten. Bin ich denn schon bereit dazu? Niemand weiß es. Nur ein Blick in der Zukunft in die Vergangenheit kann es sagen.
Wir fuhren von Süden nach Norden. Nun von Norden nach Süden. Und jetzt probiere ich/wir einen neuen Weg aus. Ich setze den Blinker und wechsel auf die Ausfahrt. Wir verlassen die alte, für mich bekannte Straße und biegen ab auf Highway 90, Richtung Osten.

Die Nacht war etwas unruhig. Ich hasse es neben einer Straße schlafen zu müssen, wenn man Nichts besseres findet. Wie oft hatte ich das in meinem Reiseleben: Zu spät denkt man über den nächsten Schlafplatz nach und schwuppdiwupp ist es dunkel. "Na toll. Ich Idiot. Wie soll ich denn jetzt einen ruhsamen Nachtplatz finden?". Immer wieder das selbe. Immer wieder der gleiche Fehler. Ich werde wirklich älter. Vor 4 Jahren hätte mir das wirklich nichts ausgenmacht. Ich habe unter Brücken, auf Bahnsteigen und sogar auf einem Betonquader vor dem Bahnhofseingang in Dehli geschlafen. Aber irgendwie habe ich darauf keinen Bock mehr. Noch schlimmer ist es jedoch stundenlang übermüdet in jede kleine Seitenstraße zu schauen, um vielleicht doch das ultimative Hobo-Paradies zu finden. So eine Aktion endet meist in Frustration und dann doch wieder nur neben einer Straße, was man auch schon zwei Stunden früher haben konnte.
Ganz so schlecht war die Nacht zum Glück nicht. Nur etwas laut, von den Autos und Trucks. Wenigstens hatten wir Sichtschutz. Unsichtbarkeit ist für mich mit das wichtigste beim Reisen und besonders Schlafen. Unsichtbarkeit garantiert eine andere Art von Ruhe. Die Ruhe allein gelassen zu werden von nervigen Landlords, die sich aufplustern, wenn man für eine Nacht drei Quadratmeter "ihres" Grundes in Anspruch nimmt, oder Bullen die ihren Job zu ernst nehmen und das "Gesetz" behüten.

Wir klettern den Hang zur Straße hoch und packen die Sachen ins Auto. Es ist noch früh, perfekt um in den nächsten Nationalpark zu fahren und den späteren Massen zu entgehen.
Nur wenige Kilometer entfernt ragt das Objekt unserer Begierde wie ein Fallus aus der Erde, der Devils Tower (Teufels Turm). Man kennt ihn aus Filmen wie "Erster Kontakt".
Wir haben unsere Route durchs Land so gelegt, dass wir nur einen minimalen Umweg machen mussten, um diese Station mitzunehmen. Wir sind mittlerweile in South Dakota, in den Black Hills, die letzten kleinen Erhebungen, die uns vor den Appalachen an der Ostküste begegnen werden. Inmitten dieser wunderschönen Hügellandschaft ragt, wie der Name es sagt, ein Turm aus Stein ca. 300m senkrecht in die Höhe. Das Bildnis vom Fallus trifft es eigentlich recht genau und zwar nicht nur vom Aussehen. Vor millionen von Jahren war Devils Tower ein Vulkan oder besser ein Lavakanal, der unter Druck und Hitze speihte (ejakulierte) und dann später erstarrte (steif wurde) und dann erodierte die umliegende weichere Landschaft weg und der harte Fallus blieb stehen. Ein erotischer Akt der Erde, nicht?

Man kann den Turm sogar erklettern, doch als der zuständige Ranger uns sagt, dass wir Klemmkeile und Friends, sowie ein 60m langes Zwillingsseil brauchen, hat sich die Sache gegessen. Da kann ich mit meiner Sportkletterausrüstung nichts machen. Ein Spaziergang um den Turm machts aber auch und unser Zeitplan ist sowieso eng.

Wie schon erwähnt sind die Black Hills wunderschön. Viel Kiefernwald, niedliche Hügel, kleine Berge und viel Granitformationen. Kein Wunder, dass sich damals der Künstler diese Gegend für die Schöpfung des heutigen Mount Rushmore entschied.
Nach einer weiteren der vielen Kurven, trohnt das Gesicht von Präsident Washington über uns. Die anderen sind noch nicht sichtbar. Als wir feststellen, dass man elf Dollar für einen Perkplatz bezahlen muss, sind wir entsetzt und machen nur ein paar Fotos. Die Skulpturen sind schon recht beeindruckend. Die umliegende Landschaft ist aber nicht weniger toll. Wir bleiben für fünf Minuten und fahren weiter, nun den Badlands entgegen, die im Prinzip eine größere Version von Devils Kitchen sind.

Die Badlands waren das letzte interessante für die nächsten zwei vollen Tage. Was vor uns liegt ist flaches, ödes Farmaland auf dem hauptsächlich Genmais und Weizen wächst. Ein Großteil von South Dakota, Illinois, Iowa, Indiana und Teile Kentuckys - alles das gleiche. Flache, laaaaangweilige Felder, die von erzkonservativen Leuten bestellt werden. So schlimm allerdings, wie alle immer den mittleren Westen beschreiben, finde ich es aber gar nicht. Man multipliziere ein größtenteils baumloses Mecklenburg Vorpommern mit der Zahl 50 und raus kommt der Mid West. Es gibt schlimmeres. Auch habe ich mir die Monokulturen viel Schrecklicher vorgestellt. Becky meint aber, dass es weiter südlich noch flacher ist und mehr der Stereotyp entspricht. Das Fahren macht sogar richtig Spaß, da wir uns besonders für diese Strecke adäquat vorbereitet haben. Ich habe uns in Portland die kompletten drei Bücher von "Die Tribute von Panem" (oder "The Hunger Games" auf englisch) als Hörspiel besorgt. Wir sind mittlereile so fanatisch in dieser Story drin, dass das Fahren fast zum Spaß wird.
Der einzig wirklich erschreckende Teil vom kompletten Mittleren Westen ist Des Moines, eine Stadt in Iowa mit ca. einer halben Million Einwohner. Unser Tank ist fast leer und müssen Essensvorräte auffüllen. Becky folgt dem GPS zum nächsten Walmart. Eigentlich hassen wir Walmart, es ist der Inbegriff (neben Mc. Donalds und Coca Cola) für agressive kapitalistische Infiltration von funktionierenden Kommunen, um diesen den verblödenden Zeitgeist von Konsumgeilheit aufzudrücken. Doch zumindest in diesem Teil von Des Moines gibt es nur Megaläden wie Walmart und wir brauchen Alkohol für unseren Kocher, den es nur dort zu geben scheint. Runter vom Highway kommen wir auf eine der Hauptstraßen. Links und rechts reihen sich ein riesiges Einkaufszentrum ans andere. Dazwischen liegen Filialen von ekligen "Restaurant"-Ketten wie Mc Donalds, Bürger King oder Taco Bells um den Menschen ihr täglich Brot zu servieren. Jeder Supermarkt ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Supermarkt. Ein Kaufland oder Real in Deutschland ist buchstäblich ein Witz dagegen. Alles glänzt und scheint. Alles ist so pickobello sauber. Perfekt rasierte strahlend grüne Rasen, die natürlich bewässert werden und konform getrimmte Bäume scheinen die Perfektheit dieser Lebensweise zu suggerieren. Alles Maske, alles Fassade! Das Resultat dieser Art Wirtschaft und Lebensweise wirkt rein und gut. Doch die Leute haben keine Ahung, was an den Anfängen aller Kausalketten steht. Sie betäuben sich mit Arbeit, Geld und Konsum und haben nicht die geringste Ahnung, wie all dieser Glimmer zustande kommt. Sie wissen nicht, dass all das auf einem Fundament aus Zerstörung der Natur und Ausbeutung anderer Lämder aufgebaut ist. Hauptsache viel und billig. Doch wer kanns verübeln. Es ist eine sehr komplizierte Maschinerie, die schwierig zu überkommen ist.
Die Straße selbst ist 50m breit, drei Spuren jede Richtung und das gruseligste ist, dass kaum Leute unterwegs sind. Die Stadt wirkt wie eine chinesiche nagelneue Planstadt, die aus dem Boden gestampft wurde und nun nur noch auf ihre Bewohner wartet. Wer weiß, vielleicht ist das ja der Fall.
Wir gehen in den einzigen mehr oder weniger ethischen Laden, kaufen unser Bioessen und fühlen uns nicht ganz so schäbig und sehen zu, dass wir aus dieser Stadt rauskommen.

"Das sind also die Appalachen", sage ich zu Becky. "Sehen fast aus wie der Thüringer Wald", ganz interessant aber nach all den Superlativen, die mir zuvor begegnet sind wirklich nichts besonderes. Man stumpft ab. Es muss immer eine Steigerung folgen. Ist irgendwie logisch, macht aber auch traurig. Was früher der steilste und gefährlichste Rodelhang war, ist nun einfach nur lächerlich. Einmal die Kaskaden an der Westküste gesehen, lassen die Appalachen als kleine Bauschutthügel erscheinen. Nach fast zwei Wochen Fahrt durch dieses riesige Land mit all seinen Naturschönheiten ist es nun Zeit sich wieder ans Normale zu gewöhnen. Ich bin etwas reizüberflutet und brauche eine Entziehungskur von schönen Landschaften. Glücklicherweise weiß ich, dass das möglich ist.
Nach dreizehn Tagen Fahrt, 6500km und vier Zeitzonen kommen wir in Connecticut an, wo Becky mal zu Hause war. Ihre Eltern und Schwester mit Mann begrüßen uns. Das Haus von Paula und Noah liegt mitten im Wald auf einem Hügel in Orange. Es ist in großes Haus. Es gibt einen großen Pool, einen ordentlich gemähten Rasen und vier Autos. Es ist ein typische Heim einer Familie der oberen Mittelschicht und ich kann mir nicht so richtig vorstellen, wie Becky die Person werden konnte, die sie heute ist.
Der Empfang ist herzlich und wir werden sofort zum Essen eingeladen. Chinesich. Echtes Chinesisch! Wie damals in China. Haargenau das gleiche. Wir erzählen viel, hören viel und ich tauche die folgenden Tage, nicht viel sagend jedoch genau beobachtend, in eine Welt ein, die mir eher unvertraut ist. Beckys Vergangenheit, wie und wo sie aufgewachsen ist, ihr Elternhaus und das normale us-amerikanische Leben.

Fortsetzung folgt ...