28.7.11

... Fortsetzung

... Teil vier

Sobald meine Eimer voll waren, machte ich mich raus aus diesem Ort. Dann ging die grosse Wanderung los.
Zwei Stunden hat es gedauert, bis ich zurueck zu meinem Rucksack gefunden habe. Es war elendig heiss, ich hatte einen quaelenden Durst, meine Lippen fingen an sich an Innenseite komisch anzufuehlen. Ich schwitzte wirklich wie ein Tier. Ich war ueberall schwarz und mein Schweiss hat sich mit dem Russ zu einer salzig klebrigen Kruste auf meiner Haut gebildet, die immer noch (oder gerade erst) viel zu atraktiv fuer Muecken erschien. Ich fuehlte mich einfach nur eklig, zerstochen und juckend.
Einige Stunden lang sieben Kilogramm schwere Eimer in jeder Hand durch Stock und Stein zu ballancieren - das ist schon ziemlich masochistisch.
Alle hundert Meter musste ich absetzen, weil meine Muskeln einfach zu schwach waren die Henkel zu halten. Und dann kam ich endlich an das grosse Feld, an dessem Ende in ca. einem Kilometer Entfernung mein Van, Camp, Essen, Wasser und alle anderen schoenen Dinge des Lebens auf mich warteten. Doch dieser Kilometer, der laenger als eine halbe Stunde gedauert hat, war mit Sicherheit der schlimmste des ganzen Tages.

Es waren wieder so viele Muecken um mich rum, wie an dem Sumpf, nur dass ich diesmal keine Hand frei hatte, um sie abzuwischen. Die ersten Minuten versuchte ich sie zu ignorieren. Doch wenn man spuert, wie sich am ganzen Koerper hunderte Nadeln in die Haut bohren, das Blut raussaugen und als Dankeschoen ein juckendes Sekret hinterlassen - das kann man einfach nicht ignorieren. Niemand kann das, davon bin ich ueberzeugt. Wenn sie doch wenigstens nur die Arme und Beine nehmen wuerden. Aber nein, die Scheissviecher nehmen alles was sie kriegen koennen: Lippen, Augenlieder, Fingergelenke. Mir sind sogar Muecken in die Ohren geflogen und haben mir in den Gehoergang gestochen.
Es blieb mir nichts anderes uebrig als zehn Schritte zu gehen, die Eimer abzustellen, Muecken abzuwischen und mich so fluchender Weise Stueck fuer Stueck vorwaerts zu kaempfen.

Auf diesen paar hundert Metern kamen dann noch krasse Gedanken in den Kopf. "Wie lange kann ein Mensch wohl in so einer Umgebung aushalten, bevor er sich selbst erloesender Weise die Kehle durchschneidet?".
In dieser Situation kam mir das Leben wie ein krankes, widerwaertiges Konzept vor. Es frisst und saugt sich alles gegenseitig aus und toetet unentwegt.
Das Reh zerkaut den schoenen Loewenzahn. Der Baer zerfleischt das Reh. Die Muecke quaelt und saugt ihn aus.
Alle stehlen permanent Energie von anderen. Alle kaempfen jeden Tag mit teilweise fiesesten Mitteln fuer umgewandelte Sonnenenergie ueber den Weg von Leid und Totmachung.
Die meiste Zeit sehe ich es mit freudigen Augen. Doch manchmal, ja manchmal da erscheint es als ein ziemlich haessliches Spiel.

Gluecklicherweise ist die Mueckensaison relativ kurz und ich war auch nie nackt an einem Baum neben einem Sumpf angebunden.
Wenn sich jemand fragt, warum ich da dann alles mache, dann sind es Momente wie dieser, der folgte, wo ich in meinem Auto sitze und aus dem Fenster gucke und all die Muecken sehe, die nicht ins Auto rein kommen. Nach so einem Tag koennen solch simpelsten Dinge der suesseste Nektar sein, den ich mir wuenschen kann. Wenn ich ganz tief unten bin und dann von dort nur einen kleinen Schritt aufwaerts steige, dann fuehlt sich das wunderbar an.
Hochschauen und auftsteigen ist toll. Doch manchmal, denke ich, ist es gut, wenn ich mich bis an den Grund der Existenz fallen lasse, um zu sehen, wie es da unten aussieht, meine Zehen mal wieder durch den Schlamm ziehe und dann langsam und genussvoll aufsteige.

Teil fuenf

Mit einem neuen Reifen und neu ausgerichteten Raedern begann ich die Fahrt nach Prince George.
Erich schrieb mir ein paar Tage zuvor in einer eMail, dass er zu einem Familientreffen am 25. Juni dort auftauchen wuerde. Ich musste ihn unbedingt sehen, um die ein paar Monate zuvor entstandene Idee einer weiteren Floss-Mission nach Maysimay zu besprechen und um ganz im Allgemeinen zu erfahren, wie seine Sommerplaene aussaehen. Zwar haette ich noch weiter im Williams Lake Feuer Pilze sammeln koennen aber irgendwie hatte ich das Gefuehl mal wieder einen Tapetenwechsel zu brauchen. Ausserdem war der Plan von Anfang an gewesen den Grossteil der Saison am Watson Lake Feuer sammeln zu gehen, was zu diesem Zeitpunkt schon hinfaellig war.

Ich fuhr durch Prince George durch, direkt zu Erichs Elternhaus. Erich war nicht da und sein Vater wusste ueberhaupt nicht, dass er kommen wollte. Das war eine ernuechternde Ungewissheit. Was sollte ich tun? Ich war viel zu frueh dran. Sollte ich die vier Tage auf ihn warten?
Da ich sowieso ein paar Dinge in Prince George zu erledigen hatte, entschied ich mich bis zum 25. zu bleiben. So hatte ich wenigstens Zeit mir ein paar Reisebegleiter fuer die lange Fahrt in den Yukon zu suchen.

Alle "Amten-Gaenge" waren getaetigt. Meine Kleidung war frisch gewaschen, ich war sauniert und gebadet, ein paar Sachen, die ich im Dezember bei einer Freundin von Erich gelagert habe, befanden sich wieder gut verstaut in meinem Van.
Den Rest der Zeit, den ich nicht mit organisatorischen Dingen verbracht habe, sass ich in der Bibo, lass alle Ad-Busters Zeitschriften (eine wunderbare Anarcho-Literatur) und verbrachte einen Veganerabend in einem Jugendclub mit lecker Essesn, Dokumentarfilm und abschliessender Gruppendiskussion.

Am spaeten Nachmittag des 25. rief ich bei den Magdziks an und erkundigte mich nach Erich. Doch keine Spur von ihm, keine Nachricht. Ich hatte das Warten satt. Noch am selben Abend fuhr ich allein relativ enttaeuscht Richtung Norden.
Zufaelligerweise begegnete ich in Prince George einem anderen Morchelsammler, der mir sagte: "It's pukin' mushrooms right now (es kotzt Pilze)!"
Bei solch einer viel versprechenden Aussicht konnte ich einfach keine Geduld mehr aufbringen. Ich hatte das Gefuehl, da findet eine Party ohne mich statt.

Nach einer gemuetlichen Nacht auf einem Highway Rastplatz schaffte ich es am naechsten Tag bis Dease Lake. Dort wollte ich wie die Wochen zuvor wieder die Nacht in meinem Van an einem kleinen Fluss verbringen. Doch aus irgendeinem Grund gab es dort abgefahren viele Muecken. Und diese waren hoechst agressiv.
Sie wollten so verzweifelt in mein Auto, dass sie dann tatsaechlich auch einen Weg gefunden haben. Ob durchs Belueftungssystem oder einen Spalt an der Tuer, ich weiss es nicht. Der Strom von Muecken hoerte jedenfalls nicht auf und nach der fuenfzigsten erschlagenen Muecke baute ich schliesslich mein Zelt auf.

Als ich am folgenden Tag endlich den Brand 80km vor Watson Lake erreichte, war ich total aufgeregt. Meine Erwartungen waren hoch. "It's pukin' mushrooms" schwirrte mir unaufhoerlich im Kopf herum.
Der Highway fuehrte genau durchs Feuer, links und rechts war alles schwarz. Ich parkte auf dem Seitenstreifen, schnappte mir einen Eimer und mein Messer und huepfte in den Wald.
Nichts, kein einziger Pilz!
Nach meiner mittlerweile gewachsenen Erfahrung wusste ich, dass das nicht dfas richtige Areal war. Es war zu trocken. Keine Muecke ging mir auf den Keks, was zwar angenehm, aber nicht das richtige Zeichen ist, um die Pilze aufzuspueren.Ausserdem war der Boden so komisch weich. Man ist knoecheltief in halb verkokeltem Moos eingesunken. Das war mir irgendwie suspekt.
Mittlerweile weiss ich, wie man da vorgehen muss: gar nicht gross rumtrucksen!
Nach drei Minuten sass ich wieder im Auto und hielt nach einer neuen Gegend Ausschau. Keinen Kilomtere weiter sprang mir dieser unwegsame steile Hang an der rechten Strassenseite ins Auge.
Perfekte Bedingungen: es brannte nicht zu heftig und nicht zu lasch. Einige Baeume waren noch am Leben, andere tot. Der Boden war bedeckt mit roten Nadeln und das Gelaende sah nach viel zu viel Arbeit aus (rumkrakseln und ueber umgestuerzte Baeume klettern), als das der Durchschnittskanadier dort suchen wuerde.

50m vom Auto weg stolperte ich ueber die ersten Morcheln. Mit jedem Schritt registrierten meine Scanner-Augen mehr und mehr. Als ich die ersten Baumreihen hinter mir gelassen habe, blieb ich stehen und betrachtete das Bild.
"Es kotzt Pilze" - das war genau die richtige Beschreibung fuer das, was ich sah. Ich stuerzte mich ins Vergnuegen und maehte wie eine Masche den Waldboden ab. Fuenf Stunden spaeter war es Zeit aufzuhoeren. Es war mittlerweile 19.00 Uhr und ich kannte die ganze Situation noch gar nicht.
Ich wusste nicht, wo Kaeufer ihre Stationen hatten, bis wann sie geoeffnet sein wuerden, wie die Preise waren oder wo ich schlafen konnte. Doch schon nach fuenf Minuten Fahrt tauchte ein Pickup-Truck parkend am Highway auf mit verdaechtig grossen Stapeln von Kisten daneben.
Ich bremste etwas ab, sah den dazu gehoerigen Besitzer und wusste instinktiv: das ist mein Mann!

Jeremy war ein Kaeufer im kleinen Stil, der gute Waare fuer den Frischmarkt in Seattle aufkaufte und dafuer auch besser bezahlte: fuenf fuer Conecous (die Gaengigsten) und sechs fuer blonde und graue (gefragtere Unterarten der Morchelfamilie), sofern die Qualitaet stimmte.
Zu mir sagte er mehrmals, dass ich wunderschoene Pilze hatte und regte sich im gleichen Atemzug ueber die meisten anderen Sammler auf, die ihm den groessten Schmarrn andrehen wollten und sich dann ihresgleichen beschwerten, dass Jermey ihren Schmarrn nicht haben wollte.
Das erfuellt mich natuerlich mit Stolz, obwohl ich selbst der Meinung war, dass diese Ladung nicht die beste Qualitaet hatte die ich bis dahin gesammelt habe. Doch bis auf ca. ein Pfund hat er mir alles abgenommen.
Mit einem zufriedenem Laecheln verabschiedete ich mich von Jeremy und suchte mir einen schoenen Campingplatz. Ich dachte mir, wenn bei einem fuenf stuendigen easy Nachmittagsspaziergang schon sechzig Pfund sammeln kann, was ist dann erst moeglich wenn ich den ganzen Tag in einem Mega-Spot wuete? Da wurde mir klar, dass die 200 Pfund/Tag-Legenden wahr waren und nicht nur uebertrieben Stories.
Das grosse Problem bei den richtig dicken Tagen sind dann aber die Knie und der Ruecken. Ich habe mir mal die Muehe gemacht zu zaehlen, wie viele Pilze ich in einen Eimer bekommen, um herauszufinden, wie oft ich mir an einem Tag die "Schnuersenkel zubinden" muss.
Bei ca. 300-400 Pilzen pro Eimer und 18 Eimern an einem meiner Hammer-Tage, da sind das einige tausend Male, wie man sich buecken und dabei noch durch teilweise richtig hartes Gelaende klettern und huepfen muss - also das Aequivalent von ein paar Jahren Schnuersenkel-Zubinden.
Das spuert man natuerlich am Abend und da denke ich mir, dass wenn man das 40 Sommer lang macht, man am Ende nicht mehr so gut dasteht. Erstaunlicherweise sehen die alten Herrschaften, die schon ein zwei oder drei Jahrzehnte hinter sich haben, noch richtig fit aus.
Was ich herausgefunden habe ist, dass es beim Buecken jede Menge Technik gibt, die man lernen kann und sich somit schont.

Ich erwachte am Morgen meines letzten Sammeltages auf dem Seitenstreifen des Highway parkend. In dieser Gegend habe ich die vohergehenden zwei Tage schon gesammelt und sie zu meinem persoenlichen Mega-Spot deklariert.
Die Pilzfelder lagen unerschoepflich direkt neben der Strasse, sodass ich nicht unnoetig viel Zeit mit Rumwandern und Suchen verschwenden musste. Ausserdem hatte mein Van ein schwerwiegendes Problem: es tropfte grosse Mengen Kuehlfluessigkeit unter dem Motorenblock heraus, weswegen ich jede vermeidbare Fahrt unterlassen wollte.
Mein Schlafgemach heizte sich langsam durch die Sonne auf. Ich zog den Vorhang des rechten Seitenfensters auf, um noch ein wenig vertraeumt aus dem Fenster schauen zu koennen.
Urploetzlich tauchte ein grosser Baerenkopf auf der anderen Seite des Fensters auf und schaute hinein, unsere Gesichter eine Armlaenge voneinander entfernt.
Alles was ich hervorbrachte, war ein langezogenes tiefes Einatmen mit einer leichten Vibration in den Stimmbaendern. Es war so ein Einatmen das man macht, wenn man etwas Gigantisches sieht oder erlebt, nicht ein schnelles zackiges, wie wenn man sich erschreckt. Dass ich mich nicht so richtig erschreckt habe, lag wahrscheinlich daran, dass ich eine Minute vorher erst aufgewacht bin und noch so relaxed und ausgeglichen vom Schlaf war. Trotzdem hatte ich Schiss und ruehrte keinen Finger.
Meine Beine wurden langsam ganz weich vom Adrenalin und ich folgte einfach nur jeder Bewegung des Baeren mit meinen Augen.

Zuerst stellte er sich mit den Vordertatzen an die Tuer und schnueffelte den Fensterrahmen ab. Dabei klapperte zu meiner Ueberraschung die Tuer und ich stellte mit Unbehagen fest, dass ich sie aus Versehen am Vorabend nur halb verschlossen habe.
Ich erinnerte mich an eine Geschichte, in der ein Baer ein Baer mit seinen Krallen zwischen Tuer und Rahmen gekrabbelt ist und die ganze Autotuer einfach abgerissen hat, um an das Sandwhich auf dem Beifahrersitz zu kommen.
Das tat mein Baer gluecklicherweise nicht, obwohl er allen Grund dazu gehabt haette, denn ich, nackt auf meinem Bett liegend und darunter alles moegliche an Essen gelagert - das war ja im Prinzip wie ein riesiges fleischiges Sandwhich.
Nein, mein Baer schnueffelte nur am Tuerschlitz entlang und konnte lediglich erahnen, welche Koestlichkeiten sich dahinter verbargen. Von dem Sandwhich wusste er natuerlich nichts, da die hinteres Fenster des Vans schwarz getoent sind und er mich somit nicht sehen konnte, als er durchs Fenster genau in mein verdutztes Gesicht schaute.
Ich spielte mit dem Gedanken auf den Fahrersizt zu springen, wo der Schluessel lag und davon zu sausen. Doch dann lief der Baer zum vorderen Ende des Autos, vor die Motorhaube, schnueffelte und schaute und trottete dann gediegen von dannen.

Teil sechs

Geradeso schaffte ich es nach Whitehorse. Die ersten 300km gab es keine Probleme. Ich fuellte den Kuehler mit zwei Kanistern Kuehlfluessigkeit auf und einer Flasche Spezialzeug, dass Lecks im Kuehlsystems versiegeln soll. Nach 300km ueberhitzte der Motor das erste Mal und danach musste ich alle 10-20km anhalten, den Motor abkuehlen lassen, Wasser nachfuellen und so schnell wie moeglich weiterfahren, bevor alles innerhalb von Minuten wieder rausgetropft ist.
Ein Mechaniker in Watson Lake sagte mir, es waere teuer das Leck zu reparieren, da man den Motor auseinander nehmen muesste, um die defekte Stelle zu finden. Er bot mir 300$ fuer das Auto an, doch andere Leute sagten mir, ich solle nicht aufgeben und den Waagen nach Whitehorse humpeln, wo alles billiger waere, um ihn dort zu reparieren.
Nachdem ich die letzten 150km in ermuedender stop-and-go Aktion hinter mich gebracht habe und endlich in Whitehorse war, liess ich eine grosse Werkstatt unter die Haube schauen.
Mindestens 1000$ allein fuer Arbeitskosten war das Urteil. Ich haette einen Riss in einem Zylinder, wo die Kuehlfluessigkeit rauslief.

In einer verzweifelten Aktion haengte ich ein zu-verkaufen-Schild ans Auto, um die Sorgen los zu sein. Auf der anderen Seite hatte ich sooooo viel Zeug und wusste ueberhaupt nicht wohin damit.
Dann traf ich Jeanviev in der Bibo. Wir lernten uns letztes Jahr auf Cortez Island kennen und es stellte sich heraus, dass wir eine Woche zuvor eMailkontakt bezueglich meiner Mitfahrgelegenheitsannounce hatten. Leider konnte ich sie und Joe nicht aufsammeln, weil wir uns immer knapp verfehlten.
Die beiden stellten mich einem anderen Paaerchen vor, mit dem sie die letzten Tage verbrachten und alle vier ueberzeugten mich zu versuchen den Van nach Dawson zu gurken. Die Aussicht mein zu Hause in Dawson zu haben, mit all meinen Sachen, Essen und vor allen Dingen meinem Bett, war sehr reizvoll. Doch mir wurde schlecht bei dem Gedanken 530km lang alle 10-20km anzuhalten und Kuehlfluessigkeit nach zu fuellen und es vielleicht nicht zu schaffen.
Wie auch immer, ich habe mich ueberzeugen lassen und so starteten wir die Fahrt zu fuenft, mit zwei Hunden und einem Berg von Gepaeck in Richtung Dawson.
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